Die richtige Pointeschuhpaarung ist wie die Wahl des idealen Partners. Die passende Unterstützung hilft dir in schwierigen Zeiten und lässt dich aufblühen und zu einer besseren Version deiner selbst werden. Genauso verhält es sich mit dem perfekten Paar Spitzenschuhe: Sie geben dir Sicherheit und lassen dein Tanzen lebendig wirken. Wenn wir das wissen, warum ist es dann trotzdem so schwierig, genau das richtige Paar zu finden?
Mit in Rente gegangenen Schuhmachern, verzögerten Lieferungen und einer chaotischen Lieferkette ist die Suche nach der optimalen Passform für Tänzerinnen auch 2022 komplexer und herausfordernder denn je.
In dieser Reihe „Die richtige Passform finden“ begleiten wir drei Profistänzerinnen auf ihrer Reise durch die Welt der Spitzenschuhe: Suzan Sittig, Cécile Kaltenbach und Sarah Irmatova. Von ihren ersten Anproben bis zum Übergang vom Ausbildungs- ins Berufsleben beleuchten wir die vielen Facetten und Anforderungen, die an eine Tänzerin gestellt werden, und letztlich, wonach man sucht, um den perfekten Schuh zu finden – und welche Folgen es hat, wenn man keinen passenden trägt.
Anzahl getragener Spitzenschuhmarken: 6
Anzahl getragener Spitzenschuhmodelle: 13
Meine erste Spitzenschuhanprobe
Ich hatte eine Ballettlehrerin, die sehr genaue Vorstellungen davon hatte, wann eine junge Tänzerin stark genug für ihr erstes Paar Spitzenschuhe sei. Für mich war das eine willkommene Herausforderung. Als ich die Bedeutung der Mittelfußkräftigung erkannte, machte ich jeden Tag fanatisch Hunderte von schier endlosen Mittelfußheber-Übungen, zusammengeknüllte Handtücher mit den Zehen zerquetschen, Stifte aufheben und viele Wadenhebungen.
Es fühlte sich an, als käme Weihnachten schon früh, als ich endlich mein erstes Spitzenschuhfitting bekommen durfte; ich schwebe noch heute auf Wolke neun. Man vermasste mich für den BLOCH Sonata und ich bekam das komplette Starterpaket: Schmerzkissen, Stopfgarn mit Nadeln und Bänder. Es war der Beginn meiner Reise durch das Labyrinth der Spitzenschuhe.
Wie war es, in meinem ersten Paar Spitzenschuhe zu trainieren?
Ich war elf und sehr ehrgeizig, als ich anfing, auf Spitzenschuhen zu arbeiten. Meine Lehrerin musste mich bremsen und verbot mir, mehr zu probieren als sie mir angewiesen hatte – endlose Versionen von Hebungen und Révélés an der Barre (mit beiden Händen). Das waren buchstäblich „Medizin“-Übungen. In meiner kleinen Welt war ich bereit, Fouettés en pointe anzugehen!
Wonach suchte ich, als ich noch in der Schule war?
Als absoluter Anfänger waren die Kriterien simpel. Ich wollte einen Spitzenschuh in meiner Größe, der lange hält, damit meine Eltern nicht ständig neue kaufen mussten.
Mit mehr Kraft und Fortschritt auf Spitze erkannte ich aber schon bald die Mängel meiner Schuhe. Mit Hilfe meiner Lehrerinnen probierte ich verschiedene Modelle aus.
Später, als ich in eine professionelle Ausbildung eintrat, nahm das Volumen an Spitzentanz zu und die Bedeutung gut sitzender Schuhe wurde noch deutlicher. An der White Lodge ermunterte man alle Schülerinnen, Freed of London zu tragen, und jedes Jahr kam das Team zur Anprobe in die Schule. Trotzdem fiel es mir schwer, genau zu benennen, was ich brauchte, weil ich noch wenig vom „Wissenschaftlichen“ der Spitzenschuhe verstand.
Das Freed–Team setzte meine wenig fachkundigen Beschreibungen fehlinterpretiert um, sodass ich nie ein Paar hatte, das wirklich bequem war.
Mit Erlaubnis meiner Lehrerin durfte ich wieder zu Bloch wechseln und fand dort ein Modell, das meinen Bedürfnissen viel besser entsprach. Ein entscheidender Faktor war die Strapazierfähigkeit: Da meine Eltern die Schuhe bezahlten, mussten sie lange halten – mit Hilfe von Shellack und Jetkleber.
Im Laufe meiner Ausbildung wuchs meine Neugier auf verschiedene Spitzenschuhe, genährt durch Anregungen neuer Lehrerinnen oder Empfehlungen für Marken und Modelle.
Je weiter ich fortschritt, desto mehr suchte ich nach Abwechslung: Ich wechselte zwischen Freed, Bloch und Capezio, ohne genau zu wissen, was ich brauchte – abgesehen von ästhetischen Aspekten. Mit meiner perfektionistischen Ader bemerkte ich rasch jede Unzulänglichkeit und wie sie mein Fuß- und Beinbild beeinträchtigte.
WAS ICH ALS PROFISTÄNZERIN IN EINER BALLETTKOMPANIE IN EINEM SCHUH SUCHE
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Ästhetik
Ästhetik ist für mich eines der wichtigsten Kriterien. Ich bin stolz auf meinen hohen Spann und nutze ihn, um ansprechende Linien zu erzeugen. Ein schön sitzender Spitzenschuh ist eine Verlängerung deiner Linie und sollte das, was du ohnehin mitbringst, optimal ergänzen. -
Perfekte Passform (kein „Schwimmen“)
Der Schuh muss genau zum Fuß passen – nicht zu breit, nicht zu groß. Einmal stürzte ich auf der Bühne, weil sich der Schuh löste und nicht mit meinem Fuß zusammenarbeitete. Ein Spitzenschuh muss im Studio und auf der Bühne funktionieren: Wenn du nervös bist, darf dein Schuh dich nicht im Stich lassen. -
Langlebigkeit
Je nach Budget der Kompanie ist die Haltbarkeit essenziell. Spitze ist teuer – und zeitaufwendig in der Vorbereitung, vor allem für alle, die mit Elastics und DIY-Sohlen arbeiten. Mein Tipp: Mehrere Paare im Wechsel nutzen, gut trocknen lassen und mit Jetkleber oder Shellack kräftig behandeln. Wer ungeschickt ist, verklebt aber schnell alles, sodass die Schuhe in den Müll wandern. -
Flexibilität & Stabilität
Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Beweglichkeit und Halt ist schwer zu erreichen. Durch meinen hohen Spann bricht der Schuh manchmal zu sehr ein, was Instabilität erzeugt. Das Kürzen des Hinterbackens schafft oft mehr Widerstand und lässt sich individuell anpassen. Die benötigte Flexibilität ist sehr individuell und teils repertoireabhängig – für bestimmte Stücke bevorzuge ich weichere, formbarere Schuhe. -
Support
Stützung und angenehme Flexibilität stehen oft im Wettstreit. Häufig mangelt es an der ästhetischen Linie, wenn der Schuh stabil genug sein soll. Ich brauche viel Halt im Spann, damit ich nicht in den Schuh einsinke. Trotz jahrelanger Kräftigungsübungen will mein Fuß immer das Maximum erreichen und drückt zu weit nach vorn – gute Bandagen können helfen. -
Lieferzeit
Lieferverzögerungen gehören zu den frustrierendsten Punkten beim Spitzenschuh-Kauf und liegen komplett außerhalb der Kontrolle. In hektischen Phasen mit wichtigen Rollen kann das extrem stressen. -
Absatzausrutschen
Das ist der Albtraum jeder Tänzerin! Elastics allein reichen oft nicht, also bestäube ich meine Fersen vor Auftritten mit Kolophonium. Zunächst muss der Schuh aber anatomisch perfekt am Absatz sitzen: nicht zu luftig, aber auch nicht so viel Material, dass die Optik leidet. -
Schmerz
Schmerz gehört leider zum Spitzenschuh-Spiel. Eine schlechte Passform kann Druckstellen und Blasen erzeugen, besonders wenn die Box zu schmal ist. Lange trug ich Tollpatschigkeitsschutz und wärmte innere Polsterungen ein – seit sieben Jahren verzichte ich jedoch nahezu komplett auf Schutzzubehör (nur gelegentlich Pflaster). Ich mag den direkten Bodenkontakt und fühle mich freier in der Bewegung. Es ist am Anfang schmerzhaft, aber ich spare Zeit, Geld und Stress. Ich empfehle es nur, wenn man mutig und neugierig ist, nicht als allgemeine Anleitung. -
Geräuschentwicklung
Als Schülerin störte mich die Lautstärke nie, aber mit 24 Paar Spitzenschuhen auf der Bühne konkurriert das Geräusch schnell mit dem Orchester. Einige Marken sind von Haus aus leiser, andere muss man „aushämmern“. So seltsam es klingt: Es funktioniert. -
Vorbereitungszeit
Je weniger ich vorab tun muss, desto besser – ich gebe zu, ich bin etwas faul. Ich dünne die vordere Satinlage rund um die Plattform einmal ab, schneide dann das Fransengewebe heraus, nähe Cross-Elastics an und füge Bänder nur bei Bedarf hinzu. Repertoirereifen Paare kommen mit vorangeschnittener Sohle. Ansonsten greife ich zum scharfen Messer und zu einer Zange, schneide die Innensohle zurecht, drücke die Kiste zwischen einer Tür oder steige darauf – und schon bin ich startklar.
Je weniger Gefummel, desto besser. Es gibt unzählige Tipps und Methoden – finde die, die dir wirklich Arbeit abnehmen und Vorbereitungszeit sparen.
Wir schreiben das Jahr 2022. Es muss doch eine bessere Lösung für Spitzenschuhe geben. Wir müssen aufhören, an veralteten Erfindungen festzuhalten, und anfangen, die Bedürfnisse heutiger und künftiger Tänzerinnen ernst zu nehmen. Die Ballettwelt ist längst überfällig, in Forschung und Entwicklung mit anderen Branchen gleichzuziehen.
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